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Katharina Rüd spricht über Draußenklassen und Leistungssportler, und wie Kommunikation das Fundament für eine glückliche Beziehung sein kann.
Schau dir hier das Video an oder lies die Transkription darunter.
Expertin für Selbstkompetenz Katharina Rüd und die Marke „Natürlich Stark“
Markus Pohle
Katharina, ich freue mich sehr, dass du meiner Einladung zum Interview gefolgt bist. Du hast die Marke „NatürlichStark“ gegründet. Dabei geht es dir um die Selbstkompetenzentwicklung von Kindern, Eltern, aber auch von Arbeitnehmern, zu fördern. Du setzt dabei vor allem auf Trainingsmethoden, die im Freien und in der Natur stattfinden.
Außerdem bist du Host des Podcasts „MaPas! Mut zur Lücke“, in dem du den Leuten Tipps gibst, wie sie gelassener mit ihrem Familienleben umgehen können. Ich persönlich fand die Folge zum Thema Mental Load sehr beeindruckend, in der du gesagt hast, dass wir diesen Mut zur Lücke brauchen und auch Partner, die uns unterstützen. Manchmal ist auch die Pareto-Lösung, die 80-zu-20-Prozent-Lösung, genau das Richtige. Liebe Katharina, magst du dich für diejenigen, die dich noch nicht kennen, kurz selbst vorstellen?
Katharina Rüd
Vielen Dank, Markus, für die Einladung. Für die, die mich noch gar nicht kennen – das werden ja nicht die meisten sein – ich bin Katharina Rüd und habe vor drei Jahren „NatürlichStark“ gegründet. Ich bin Mama von drei Kindern, wohne in der Mitte von Deutschland, im schönen Hessen, und komme ursprünglich aus dem Kommunikationsbereich.
Ich habe gemerkt, dass da einiges in der Schieflage war, als ich noch in Festanstellung war. Irgendwann habe ich mich dann weiter- und fortgebildet und dabei entdeckt: Hey, das ist etwas, das ich gerne mehr Menschen zukommen lassen möchte, diese Erfahrungen, die ich da sammeln durfte.
Und ja, so kam es, dass der Wunsch nach Selbstständigkeit größer wurde und ich zu „NatürlichStark“ kam. Ich habe mich weitergebildet in den Bereichen Stressmanagement, Stressprävention und Achtsamkeit, weil das etwas war, das mich im Beruf immer total belastet hat. Ich konnte da selbst nicht raus, ich brauchte Unterstützung. Diese Unterstützung, die ich bekommen habe, möchte ich jetzt gerne weitergeben. Das ist auch ein bisschen meine Art, Dinge offen an Menschen weiterzugeben. Ich bezeichne mich auch gerne als Feel-Good-Managerin.
Markus Pohle
Dieser Spirit, den ihr auch in eurem Podcast habt, gemeinsam mit einer weiteren Frau, fand ich sehr gut. Da wird viel gelacht, und ihr geht wirklich sehr dynamisch miteinander um. Das kann ich mir gut vorstellen: Feel-Good-Managerin.
Katharina Rüd
Danke. Jessica Martin ist aber auch echt eine dankbare Kollegin und Partnerin, weil wir einfach einen ähnlichen Spirit leben und das genießen, was wir da machen dürfen.
Markus Pohle
Und du hast dich weitergebildet im Bereich Stressmanagement. Habe ich das richtig verstanden, dass du auch in den Bildungswissenschaften oder in der Bildungslandschaft vorher tätig warst?
Katharina Rüd
Nee, gar nicht, gar nicht. Ich bin, was Bildung angeht, fachfremd. Ich komme aus dem Journalismus, aus dem Bereich Medien und Unternehmenskommunikation. Was mich zuerst in den Wahnsinn getrieben hat, wenn ich das so nennen darf, war, dass Kommunikation oft so schlecht ist und so viel verursacht, was nicht notwendig ist. Falsch verstandene Botschaften, Aussagen, die nicht hinterfragt werden, und zu wenig kritisches Denken – das hat mich persönlich wahnsinnig gemacht.
Daraus entstand dann der Gedanke: Da muss doch etwas anders gehen, da muss etwas besser gehen. Das führte mich dann letztlich dazu, schon bei den Kindern anzusetzen, und so bin ich im Bildungsbereich gelandet.
Markus Pohle
Okay, Journalismus, verstehe. Und da bin ich total bei dir. Oft ist es so, dass Botschaften, die wir vielleicht gar nicht auf diese Art und Weise senden wollten, bei anderen Personen dennoch ungünstig ankommen. Vieles davon lässt sich eigentlich vermeiden, indem wir uns präziser ausdrücken und etwas mehr auf unseren eigenen Sprachgebrauch achten.
Selbstkompetenz als Handwerkszeug, mit sich selbst klarzukommen
Markus Pohle
Lass uns doch gerne mal darüber sprechen, was Selbstkompetenz für dich bedeutet, die du bei Menschen fördern möchtest. Was bedeutet Selbstkompetenz für dich?
Katharina Rüd
Selbstkompetenz bedeutet für mich und meine Arbeit, das Handwerkszeug zu haben, um mit sich selbst klarzukommen. Es besteht für mich aus dem Bereich der emotionalen Kompetenz – also dem Verständnis darüber, was in mir vorgeht, wie ich es deuten kann und wie ich darauf reagiere. Dazu kommt die soziale Kompetenz, also das Miteinander. Wenn ich mir meiner selbst sicher bin, kann ich auch anders im Umgang mit Kollegen, anderen Kindern und Menschen auftreten. Das unterstützt dann auch die soziale Interaktion.
Ein wichtiger Bestandteil ist auch der große Komplex Kommunikation. Wenn ich Vertrauen in mich selbst habe, das Bewusstsein und die Fähigkeit, mein Handeln zu steuern und zu regulieren, und mir meiner Wirkung auf andere bewusst bin, dann habe ich eine Selbstkompetenz entwickelt – also das Vertrauen in mich selbst und ein Bewusstsein für mein Handeln. Es hat viel mit Selbstreflexion zu tun: zu verstehen, was die eigenen Stärken sind, welche Signale mir mein Körper und mein Bewusstsein geben und wie ich damit umgehe.
Daraus kann man eine Selbstsicherheit im Umgang mit sich selbst gewinnen, die sich auch in einem sicheren Umgang mit anderen zeigt. Und genau dadurch verbessert sich dann auch die Qualität der Beziehungen.
Markus Pohle
Du arbeitest explizit mit Kindern, und über den Podcast weiß man, dass du auch Eltern adressierst. Außerdem gibt es Unternehmen, die mit dir zusammenarbeiten. Können wirklich alle von Selbstkompetenz profitieren, oder würdest du auch einen Schwerpunkt in deiner Arbeit setzen?
Selbstkompetenz bedeutet, sich Ziele zu setzen
Katharina Rüd
Auf jeden Fall können alle davon profitieren, denn Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein schaden erstmal niemandem. Diese Eigenschaften haben auch einen motivationsfördernden Aspekt, und das Thema Ziele setzen gehört da ganz klar dazu. Und das braucht wirklich jeder, egal ob Führungskraft oder Grundschulkind – ohne Ziele lässt sich schwierig Motivation aufbauen. Ich setze den Fokus besonders auf Kinder und Jugendliche, weil ich wahrnehme, dass dort eine gewisse Schieflage existiert. Viele Kinder kommen mit ihren Emotionen nicht klar, sie wissen oft nicht, was in ihnen vorgeht, besonders in der Pubertät, wenn sie sich selbst nicht mehr verstehen.
Zudem wird in vielen Familien die Zeit immer knapper, da beide Elternteile berufstätig sind. Der Raum und Rahmen für diese intensive Arbeit, die daheim nötig wäre, ist oft nicht vorhanden. Deshalb habe ich mich entschieden, in Schulen und Kindergärten zu gehen, um an dieser Grundlagenbildung mitzuwirken. Natürlich muss das auch zu Hause fortgesetzt werden, aber wenn man den Kindern und Jugendlichen schon mal etwas mitgeben kann, ist das ein guter Anfang. Deswegen liegt hier mein Schwerpunkt. Ich merke aber auch zunehmend, dass viele Eltern – häufig Mütter – in meinem Umfeld auftauchen, die im Zusammenhang mit ihrem Berufsleben in ein Struggling geraten. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist oft ein großes Thema. Da fangen meist die Mütter die Belastungen auf.
Markus Pohle
Du fängst gerne schon im Kindergartenalter an, die richtigen Fundamente zu legen. Du arbeitest dann weiter mit Grundschülern, sodass in der Pubertät die neuen Herausforderungen bewältigt werden können. Und irgendwann sind diese Menschen selbst erwachsen, stehen im Berufsleben und merken, wie wichtig es ist, die eigenen Grenzen zu erkennen. Sie fragen sich dann, wo ihre Stärken liegen und wie sie – wenn sie selbst eine Familie gründen wollen – das richtige Management dafür finden können, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland noch nicht optimal gelöst ist.
Und wenn ich dann mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftreten kann, weiß, was ich brauche, um im Berufsleben gut bestehen zu können, ohne auszubrennen oder permanent diesen Mental Load mit mir herumzutragen, dann ist schon viel gewonnen.
Ich fand es sehr spannend, wie du geschildert hast, dass es eigentlich damit anfängt, sich selbst Ziele zu setzen: Wo möchte ich hin, was möchte ich erreichen? Ich würde auch sagen, das ist einer der Schwerpunkte, die ich früh im Coaching setze – zu schauen, was die Motivation der anderen Person ist und wo sie eigentlich hinmöchte. Hast du da eine bestimmte Methode, wie du aus den Leuten herausbekommst, wo sie eigentlich hinmöchten?
An Teamtagen wird der Zusammenhalt in der Klasse gestärkt
Katharina Rüd
Ja, ich habe verschiedene Formate. Gerade zu Schuljahresbeginn, der hier in Hessen noch recht frisch ist, machen wir Teamtage. Die sind darauf angelegt, zuerst die Klasse ein wenig zu formen, sie zusammenzubringen und so weiter. Das Ziel nach einer fünfstündigen Einheit wäre, dass die Klasse für sich Ziele formuliert, sich besser kennengelernt hat und am Ende sagen kann: „Wir als Klasse wollen in diesem Schuljahr so miteinander umgehen“ oder „Auf der Klassenfahrt wollen wir etwas Besonderes erleben“. Wir möchten als Klasse bestehen, weil wir uns jetzt schon alle total toll finden.
Man kann Klassenziele formulieren oder auch individuelle Ziele setzen, zum Beispiel: „Ich möchte mich mehr am Unterricht beteiligen und meine Schüchternheit ablegen.“ Das sind Dinge, die man in so einem schönen fünfstündigen Workshop gut herausarbeiten kann. Wenn dann die Lehrkraft sagt: „Hey, wir haben da an einer bestimmten Stelle noch einen gesonderten Bedarf“, dann würde ich wiederkommen und gezielt an diesem Thema arbeiten. Dafür setzen wir dann auch nochmal extra Ziele.
Markus Pohle
Das klingt nach einer herausfordernden Aufgabe, so weit in die Zukunft zu planen und zu sagen: „Okay, ich muss jetzt diese und jene Schritte unternehmen, um dann beispielsweise in einem halben Jahr dort und dort anzukommen.“ Läuft das für alle Klassenstufen gleich ab?
Katharina Rüd
Nein, da gibt es Unterschiede, vor allem bei jüngeren Kindern, die noch in der Grundschule sind. In der Grundschule geht es weniger darum, klare, langfristige Ziele zu formulieren. Oft wird das, was früher als „Regeln“ an der Wand stand, heutzutage als Ziele formuliert. Wenn ich dann dazukomme und ebenfalls Ziele formulieren möchte, glaube ich, dass viele Grundschulkinder verwirrt wären.
Bei den Kleinen geht es eher um Verhaltensvorschläge oder Versuchsangebote. Zum Beispiel: „Hey, probier doch mal, beim nächsten Mal, wenn du total wütend bist, nicht auf deinen Sitznachbarn einzuhauen, sondern erstmal tief durchzuatmen.“ Klar, das ist auch eine Art Ziel, aber ich würde es nicht so nennen, sondern eher als Versuch beschreiben.
Ab der Pubertät verschieben sich die Problemfelder
Markus Pohle
Aber es bleibt ein Bereich der Selbstkompetenz, also der Fähigkeit, mit den eigenen Gefühlen angemessen umzugehen.
Katharina Rüd
Ja, absolut. Bei Teenagern sieht das dann schon wieder ganz anders aus. Die haben komplett andere Themen, besonders in der Pubertät. Schule spielt oft keine große Rolle mehr, und das Arbeiten wird gezielter und individueller. In den Klassen 5 und 6 sind die Themen noch recht ähnlich, aber danach wird es wirklich sehr individuell und komplex.
Markus Pohle
Ich fand es damals in meiner Jugendarbeit sehr spannend zu beobachten, dass Jungen länger in der vorpubertären Phase bleiben, während Mädchen schneller in die Pubertät eintreten und sich versuchen, erwachsen zu verhalten. Sie möchten nicht mehr spielen, sondern über ernsthafte Themen sprechen. Die Jungs hingegen agieren noch viel mit dem Körper, haben einen starken Bewegungsdrang und sind verspielt. Das stelle ich mir in einer Klasse, die sich in diesem Übergang befindet, auch sehr herausfordernd vor.
Katharina Rüd
Absolut. Ich fahre jedes Jahr mit einer 7. Klasse zum Skifahren, und das ist einfach faszinierend. Du hast die kleinen Jungs, wo du denkst: „Oh Gott, bist du noch niedlich!“, und dann sind da schon fast gestandene Männer. Bei den Mädchen ist es ähnlich: Die Unterschiede sind körperlich und auch in der geistigen Reife so enorm, das ist wirklich beeindruckend.
Markus Pohle
Ja, es ist spannend zu sehen, wie bei manchen scheinbar über Nacht ein Schalter umgelegt wird und wie sich der Charakter verändert. Hast du in deiner Zusammenarbeit mit Schulen auch die Gelegenheit, nach einem halben Jahr oder Jahr wieder mit der Klasse zusammenzuarbeiten, um zu sehen, was erreicht wurde, wo nachjustiert werden muss oder ob sich Ziele verändert haben?
Katharina Rüd
Leider nicht immer. Es gab Formate, die ich die letzten drei Jahre regelmäßig durchgeführt habe, wo ich eine Gruppe Schüler begleitet habe. Wir haben da immer wieder Ziele neu justiert und konnten die Entwicklung wirklich fast wöchentlich vorantreiben. Das war richtig gut. Aber leider wurden die Gelder dafür gestrichen, sodass solche kontinuierlichen Programme oft schwierig zu finanzieren sind.
Aktuell planen wir ein Projekt, bei dem ich in einer Jahrgangsstufe 5 regelmäßig wiederkommen soll, aber das ist noch in der Schwebe. Im Bildungssystem und generell im sozialen Bereich fehlt es oft an finanziellen Mitteln, sodass solche Follow-ups schwierig umzusetzen sind.
Fördermittel zum Thema Nachhaltigkeit für Schulentwicklung einsetzen
Markus Pohle
Es gibt also die Möglichkeit für Schulen, Fördergelder zu beantragen, um dich im Schulbetrieb einzusetzen. Kannst du dazu mehr sagen?
Katharina Rüd
Ja, Schulen haben verschiedene Budgets, auf die sie zugreifen können und über die sie erstmal selbst verfügen. Wenn eine Schule der Meinung ist, dass mein Einsatz, zum Beispiel für Selbstkompetenzentwicklung, wertvoll ist, können sie direkt aus ihrem Schulbudget dafür Mittel verwenden, ohne groß Angaben machen zu müssen. Allerdings sind diese Budgets oft auch für andere Dinge verplant, wie etwa Schulbücher oder andere notwendige Anschaffungen.
Daneben gibt es auch verschiedene Stiftungen und Fördermittel. In Hessen, zum Beispiel, hat die Landesregierung lange Zeit Gelder zur Verfügung gestellt, die Schulen abrufen können. Dabei haben sie einen gewissen Handlungsspielraum, aber oft gibt es eine thematische Begrenzung. Schulleitungen, die sich mit diesen Möglichkeiten auseinandersetzen, haben die Chance, diese Gelder zu nutzen. Das Ganze ist natürlich mit Arbeit verbunden und man muss sich intensiv damit beschäftigen. Aber ich finde, es lohnt sich, weil es viele tolle Menschen und Projekte gibt, die über diese Fördergelder finanziert werden. Alles, was der Bildung und unseren Schüler zugutekommt, sollte abgerufen werden. Ob das nun ich bin oder ein anderes Programm, ist im Endeffekt egal, solange es den Schülern hilft.
Markus Pohle
Das macht es dann natürlich gleich auch ein bisschen schwieriger, wie du schon richtig sagst, weil es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Programme gibt. Da muss man sich wirklich reinarbeiten, schauen, dass man den Kontakt zu einem Förderberater oder einer Förderberaterin herstellt, die sich mit den Richtlinien besser auskennen. Aber es ist dann tatsächlich möglich, dich zu buchen, mit dir zusammenzuarbeiten und entsprechende Fördergelder von staatlichen Institutionen oder Stiftungen zu erhalten.
Draußenklassen fördern Zusammenhalt, Gesundheit und Leistung
Katharina Rüd
Genau! Und neben dem Bereich der Selbstkompetenzentwicklung arbeite ich auch an Projekten wie Draußenklassen oder Outdoor-Unterricht, wo ich mit Schulen zusammenarbeite, um diese Konzepte zu entwickeln und einzuführen. Hier gibt es oft Gelder, weil das Thema Nachhaltigkeit gerade sehr wichtig ist und gefördert wird. Da muss man ein wenig gedanklich flexibel sein. Eine Outdoor-Klasse könnte beispielsweise sehr gut mit dem Thema Selbstkompetenz kombiniert werden, weil das soziale Miteinander draußen extrem wichtig ist. Auch das Thema Chancengleichheit wird gefördert, und man muss eben kreativ sein, um zu sehen, wie man diese Themen miteinander verknüpfen kann.
Markus Pohle
Das Thema Draußenklassen und die Verbindung zur Nachhaltigkeit finde ich auch spannend. Da kommen wir in deinen Bereich der Stressbewältigung. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sehr hilfreich sein kann, besonders für Kinder, die den ganzen Tag drinnen sitzen müssen. Wenn sie eine Stunde draußen verbringen dürfen, sich bewegen und ihre Umgebung erkunden können, könnte das eine echte Entlastung sein.
Katharina Rüd
Absolut! Mein Ziel wäre es tatsächlich, dass Unterricht vermehrt draußen stattfindet, bei Wind und Wetter. Statt immer nur in einem stickigen Klassenraum zu sitzen, gerade bei den hohen Temperaturen, wäre es viel besser, einfach mal frische Luft um sich zu haben, die Weite zu spüren und vielleicht sogar mal einen Windhauch im Gesicht zu haben. Da lernt es sich gleich viel besser!
Markus Pohle
Ich kenne das Thema mit Outdoor-Klassen und Unterricht im Freien nur aus Dokumentationen, vor allem von anderen europäischen Ländern, die in ihrem Bildungssystem einfach schon weiter sind. Die verlassen den sterilen Klassenraum und integrieren die Umgebung in den Unterricht. Das kann bei Mathe genauso funktionieren wie bei vielen anderen Fächern. Diese Länder schneiden im PISA-Test tatsächlich oft besser ab als das deutsche Bildungssystem.
Sport fördert die Selbstkompetenz von Kindern ganz erheblich
Sag mal, nimmst du eigentlich Unterschiede in der Selbstkompetenz von Kindern im Vergleich zu Erwachsenen wahr?
Katharina Rüd
Ja, es gibt definitiv Unterschiede, weil Erwachsene einfach viel mehr Erfahrungen und Prägungen mitbringen. Es gibt allerdings genauso Erwachsene, die emotional, was ihre Kompetenz angeht, nicht viel mitgenommen haben in ihrem Leben. Auf der anderen Seite gibt es auch Kinder, die in ihrer emotionalen Entwicklung schon sehr weit sind. Das hängt viel vom Elternhaus ab und davon, wie die Vorprägung ist. Es gibt also sowohl bei den Kindern und Jugendlichen als auch bei den Erwachsenen welche, die wirklich gut aufgestellt sind, und solche, bei denen man denkt: „Okay, wir fangen mal ganz vorne wieder an.“
Ich war jetzt gerade am Wochenende bei einem Workshop in einem Kegelverein. Das hört sich erstmal total unspektakulär an. Dann saß vor mir ein Jugendteam plus Betreuer. Vor Ort erfuhr ich dann, dass dieses Jugendteam auf Bundesliga-Niveau kegelt und dass sogar eine Nationalspielerin dabei ist, die an dem Tag nicht da war. Da ging es dann um mentale Stärke und den Aufbau von Selbstkompetenz. Ich habe gemerkt, dass diese Jugendlichen schon sehr weit sind. Auf diesem Niveau musst du das auch sein, sonst kommst du gar nicht in die Verfassung, diese Leistung permanent abrufen zu können. Es war eine tolle Erfahrung zu sehen, dass an bestimmten Stellen schon sehr viel passiert, denn sonst wären diese Kinder und Jugendlichen nicht so weit in ihrer Entwicklung.
Markus Pohle
Was du sagst, zeigt, dass man Selbstkompetenz fördern kann und das auch schon früh, zum Beispiel über ein Vereinsleben, sei es im Hobbybereich oder wie in diesem Fall bis hin zum professionellen Kegeln. Hier liegt natürlich auch eine Verantwortung bei den Eltern, die Selbstkompetenz ihrer Kinder zu fördern, damit man als Erwachsener später nicht sagen muss: „Okay, wir schauen nochmal auf die Grundlagen.“
Warum Eltern zuerst bei sich selbst anfangen müssen
Markus Pohle
Wenn du nun verschiedene Facetten der Selbstkompetenz betrachtest, wie etwa Ziele zu entwickeln, gewaltfreie Kommunikation – was ja auch ein Thema in deinem Podcast ist – oder das Erkennen und Benennen eigener Emotionen und deren Bedeutung, würdest du sagen, dass es Unterschiede in der Arbeit mit Kindern und Erwachsenen gibt, die du zu Beginn festlegen musst?
Katharina Rüd
Ja, auf jeden Fall! Bei vielen Erwachsenen ist die Grundhaltung oft nicht: „Ich möchte bei mir etwas verändern,“ sondern eher: „Hilf mir, dass mein Alltag, mein Leben mit Familie und Kindern leichter wird. Sag mir, was ich bei den Kindern verändern soll.“ Da bin ich dann diejenige, die sagt: „Wir können nicht einfach die Kinder verändern.“ Wenn du möchtest, dass bei den Kindern etwas anders läuft, dann sollen bitte die Kinder zu mir kommen. Aber wenn du möchtest, dass für dich etwas anders läuft, dann möchte ich mit dir arbeiten – es geht um deine Persönlichkeitsentwicklung.
In dem Moment, wo du bei dir etwas veränderst, veränderst du auch für alle anderen etwas, und das wird sich auch auf dein Familienleben übertragen. Aber wenn du hier bist, damit ich dein Kind verändere, dann werden wir nicht zusammenkommen. Wenn du jedoch bereit bist, bei dir genauer hinzuschauen und zu erkennen, was du zur Gelassenheit und zum Gelingen des Familienalltags beitragen kannst, dann bist du herzlich willkommen. Dann schauen wir gemeinsam, wo wir ansetzen können.
Markus Pohle
Das ist ein schöner Satz, wenn du sagst, dass die Verantwortung für das Ergebnis immer bei einem selbst liegt. Die Haltung, die du im Coaching hast, klingt für mich auch sehr systemisch. Hast du in diese Richtung auch eine Ausbildung gemacht?
Katharina Rüd
Ich habe eine Ausbildung als psychologische Beraterin gemacht und bin auch Mentaltrainerin, aber systemisch bin ich eigentlich gar nicht unterwegs. Der Begriff sagt mir natürlich etwas, aber ich arbeite nicht direkt damit.
Verändere einen Teil des Systems, damit sich das System verändert
Markus Pohle
Im Kern haben wir in der Systemik die Idee, die Virginia Satir damals in ihre Familientherapie eingeführt hat. Wenn jemand mit einer Herausforderung zu ihr kam, hat sie immer auch die Familienangehörigen oder andere wichtige Personen des Haushalts in die Therapie mit einbezogen. Sie schaute sich an, was die verschiedenen Meinungen und Perspektiven waren. Wenn man an einem kleinen „Stellschräubchen“ dreht, will sich das System als Ganzes wieder stabilisieren und die anderen Menschen reagieren darauf entsprechend.
Ich fand es daher auch sehr spannend, wie du es in deinem Podcast beschrieben hast. Ich glaube, es war eine Kollegin von dir, die sagte: „Mein Mann kommt nach acht Stunden Arbeit im Büro nach Hause. Er bringt viel Mental Load und Ballast mit, hat sich dort verausgabt und ist in einem bestimmten emotionalen Zustand.“ Und die Kinder spiegeln das natürlich sehr gut, nehmen es sofort wahr und werden ebenfalls nervös oder unruhig, oder sie fühlen sich eben wohl, je nachdem, wie der Vater nach Hause kommt. Das ist pure Systemik!
Katharina Rüd
Schön, wieder etwas gelernt! Danke dafür. Aber ja, es hängt alles immer irgendwie zusammen, und der Ausgangspunkt bin immer ich selbst. Was ich nach draußen gebe, bekomme ich letztendlich zurück.
Markus Pohle
Es ist unglaublich schwierig, sich selbst zu verändern. Wir alle wissen das – ob man nun versucht, Gewicht zu verlieren oder eine Beziehung zu jemand anderem zu verbessern. Es ist wirklich sehr schwer und erfordert viel Arbeit. Und wie viel schwieriger ist es dann, aus der eigenen Perspektive heraus zu versuchen, jemand anderen zu verändern? Ich würde sagen, das ist quasi unmöglich. Daher ist es am besten, bei sich selbst anzufangen.
Katharina Rüd
Absolut, und es ist ja auch nicht zielführend, jemanden anderen zu verändern. Selbst wenn wir es schaffen, jemanden nach unseren Vorstellungen zu ändern, bringt das unserem Gegenüber – und meistens ist das dann ein Kind – einfach überhaupt nichts. Es geht darum, wie wir selbst uns entwickeln und wie wir dann im System agieren.
Markus Pohle
Ja, das ist sehr richtig, genau dieser humanistische Blick darauf.
Sanfter Einstieg ins Programm über Workshop-Formate
Markus Pohle
Okay, ich schaue noch mal auf meine Fragenliste. Wir haben jetzt einmal darüber gesprochen, was der Unterschied in der Selbstkompetenz zwischen Kindern und Erwachsenen ist und wie du dort unterschiedlich herangehst. Sag mir doch gerne noch, in welchem Zustand die Menschen zu dir kommen, bevor die Zusammenarbeit beginnt. Was sind typische Fragen, die sie mitbringen?
Katharina Rüd
Also, die Frage, die ich in der Tat am häufigsten höre, kommt von Müttern. Meistens sind es Mütter, die ihre Kinder bei mir anmelden möchten. Da sind wir wieder bei dem Punkt: Sind es immer unbedingt die Kinder? Nein. Aber es sind dann in der Regel Mütter, die wahrnehmen, dass ihre Töchter Schwierigkeiten mit dem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein haben. Das ist die häufigste Anfrage. Die Kinder tun sich schwer, zu kommunizieren oder sich zu integrieren – besonders in Gruppen. Das sind die häufigsten Anfragen, die bei mir aufschlagen.
Dann frage ich als Erstes: „Weiß das Kind, dass dieser Anruf gerade erfolgt? Möchte das Kind das?“ Denn wenn das Kind es nicht möchte, wird es schon schwer. Es gibt meistens ein erstes Kennenlernen, das mache ich auch gar nicht unbedingt in einer 1-zu-1-Situation. Das kommt immer darauf an, wie gerade mein Programm aussieht. Wenn ich Workshops oder Kurse habe, lade ich diese Kinder gerne ein, an einem Workshop teilzunehmen, um mich einfach mal zu erleben – wie ich überhaupt bin, wie ich handle und wie ich mit Jugendlichen und Kindern in dem Alter umgehe.
So sitzen die Kinder nicht gleich in einer 1-zu-1-Prüfungssituation und denken: „Oh Gott, jetzt muss ich mit ihr reden.“ Gerade wenn ich einen Teenie habe, dem es schwerfällt, zu kommunizieren, ist ein ungezwungener Rahmen mit Gleichaltrigen oft besser. Das lockert die Situation etwas auf. Das nutze ich gerne, wenn es möglich ist, aber es geht natürlich nicht immer, weil nicht immer gerade ein Workshop ansteht. Aber das ist eigentlich eine sehr schöne Methode.
Der Veränderungsimpuls muss von einem selbst ausgehen
Markus Pohle
Du sagst also, sie bringen schon ein kleines bisschen eigene Motivation mit. Diejenigen, die von den Eltern vorgeschickt werden, aber ganz klar sagen: „Nee, hab ich keinen Bock drauf,“ die sind von vornherein bei dir ausgeschlossen?
Katharina Rüd
„Ausgeschlossen“ ist ein hartes Wort. Aber ich sage von Anfang an klar, dass ich wenig Potenzial für eine Entwicklung sehe, wenn die Motivation nicht da ist. Es muss aus einem selbst kommen; man muss selbst wollen, bei sich anzusetzen und genau hinzuschauen. Das gilt genauso für Eltern, wie ich vorhin beschrieben habe. Wenn sie kommen und sagen: „Verändere mein Kind,“ dann sage ich: „Ich glaube, dann kommen wir hier nicht zusammen oder zumindest nicht weiter.“
Markus Pohle
Ja, das könnte ich mir gut als Sprungbrett vorstellen, an dem man dem Elternteil sagt: „Ich kann dir trotzdem ein Angebot machen, wie du die Qualität der Beziehung zu deinem Kind verbessern kannst.“ Ich könnte mir vorstellen, dass viele Kinder dann doch folgen, gerade wenn es Töchter sind, die möglicherweise Opfer von Mobbing werden, weil sie zurückhaltender sind als andere.
Neurodivergente Kinder können lernen, sich zu erklären
Katharina Rüd
Ja, es sind häufig auch Kinder, die mit Themen wie Neurodivergenz, ADHS oder Hochbegabung zu tun haben. Ich nenne sie jetzt mal liebevoll die „Wunderlichen“, die auf andere anders wirken. Oft können andere Kinder nicht nachvollziehen, wie sie ticken oder warum sie bestimmte Dinge anders tun. Und diese Kinder haben dann oft auch nicht gelernt, sie einfach so sein zu lassen, sondern fühlen sich dadurch vielleicht verängstigt oder bedrängt.
Oft geht es also darum, auch diesen Kindern zu zeigen, dass sie okay sind, wie sie sind, und gleichzeitig andere zu sensibilisieren, dass „anders“ nicht gleich „schlecht“ oder „gefährlich“ bedeutet. Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit, die ich mache, um das Verständnis und die Akzeptanz füreinander zu fördern.
Markus Pohle
Ja, ich denke gerade darüber nach: Ist es dann eigentlich die Aufgabe des neurodiversen Kindes, diese Situation zu klären, oder sollte man nicht vielmehr den Klassenverband in den Blick nehmen?
Katharina Rüd
Genau, es gibt da ganz fiese Mechanismen in Klassen, besonders ab der 5. Klasse aufwärts. Das neurodiverse Kind muss natürlich viel mitarbeiten und viel erklären, aber es muss selbst erst mal verstehen, was in ihm vorgeht. Hier sind wir wieder bei den emotionalen Kompetenzen. Das Kind muss zuerst wissen, was mit ihm selbst los ist. Es merkt, dass es anders ist, und dass andere Kinder anders auf es reagieren als auf andere. Aber warum ist das so? Warum wird es ausgegrenzt? Diese Kinder denken ja nicht: „Ich bin neurodivers.“ Selbst wenn eine Diagnose wie ADHS oder Autismus vorliegt, ist das nur ein Stempel. Und dieser Stempel ist oft nicht hilfreich, er kann sogar hinderlich sein. Da braucht es Arbeit, um diese Haltung aufzulösen.
Markus Pohle
Sich selbst besser kennenzulernen, innere Stärke zu entwickeln und dann zu reflektieren, was die anderen Kinder in der Situation genau meinen und was sie beunruhigt.
Katharina Rüd
Genau, und dann kann man das Thema im sozialen Bereich offen ansprechen. Wenn das Kind sagt: „Ja, vielleicht bin ich manchmal ein bisschen komisch, weil ich viel rede, aber ich muss viel reden, um meine Energie loszuwerden. Sonst fühle ich mich unwohl.“ Das könnte bedeuten, dass das Kind lieber einmal um den Sportplatz rennen würde, um diese Energie loszuwerden, aber es äußert sich stattdessen durch Reden. Wenn das verbalisiert ist, wird es vielleicht immer noch als „anders“ wahrgenommen, aber die anderen haben die Chance, es zu verstehen.
Neue Hilfangebote für „mental starke“ Lehrkräfte
Markus Pohle
Ich könnte mir vorstellen, dass die Klassenlehrer hier einen großen Hebel haben. Du hast ja schon erwähnt, dass du mit Schulklassen zusammenarbeitest, um den Zusammenhalt zu stärken. Bietest du auch Workshops nur für Lehrkräfte an, um sie quasi als Multiplikatoren zu schulen? Gerade bei Themen wie Inklusion oder dem Umgang mit neurodiversen Kindern, die in „normale“ Klassen integriert werden – gibt es dazu spezielle Schulungen von dir?
Katharina Rüd
Ja, das ist etwas, das ich gerade aufbaue. Über die hessische Lehrkräfteakademie habe ich jetzt Workshops zum Thema mentale Stärke. Da geht es genau darum, Lehrkräfte zu diesen Multiplikatoren zu machen, aber auch darum, dass die Lehrkräfte selbst etwas für sich mitnehmen können. Es ist wichtig, dass sie in diesem System mental stark agieren können, um nicht unter den täglichen Belastungen unterzugehen.
Lehrkräfte stehen ja oft unter Dauerbeschuss – die Kinder wollen etwas, die Eltern wollen etwas, die Schulleitung will etwas, das Ministerium stellt Anforderungen. Um damit klarzukommen, ist das Thema mentale Stärke sowie emotionale und soziale Kompetenzen unglaublich wichtig.
Meine Workshops sind so konzipiert, dass es immer praktische Aufgaben gibt. Sie vermitteln nicht nur, wie man diese Themen den Schülern beibringt, sondern auch, wie die Lehrkräfte selbst davon profitieren können. Ein zweiter Workshop, der gerade entsteht, beschäftigt sich mit dem Thema Draußenunterricht. Hier geht es darum, wie man den Unterricht nach draußen verlegen kann, zum Beispiel wenn man eine unruhige Klasse oder viele neurodiverse Kinder hat. Es geht darum, wie das Draußensein effektiv für die Klasse und die Lehrkraft genutzt werden kann.
Markus Pohle
Gerade den ersten Teil, den du ansprichst, das nehme ich auch so wahr. Ich habe während meines Masterstudiums eine Hausarbeit genau zu diesem Thema geschrieben – über die psychischen Belastungen im Lehrerberuf. Es gibt viele typische Herausforderungen, wie beispielsweise die Erwartungen der Eltern oder unklare Auftragsklärungen: Wann bin ich als Lehrkraft erfolgreich? Wann bin ich gut genug? Die Gratifikation, die oft ausbleibt, und natürlich die ständig hinzukommenden Aufgaben, die das Deputat sprengen.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich in dieser Situation definitiv Hilfe suchen müsste, um mit all diesen Anforderungen zurechtzukommen. Insofern ist es sehr schön zu hören, dass man bei dir den Werkzeugkoffer auffüllen kann, zum Beispiel, wie kann Unterricht im Freien aussehen?
Frischgebackene Eltern stehen am besten als Team zusammen
Markus Pohle
Ich berate oft Menschen mit einem stressigen Alltag, meist wegen beruflicher Themen. Manche sind jedoch gerade frische Eltern geworden. Das bedeutet natürlich weniger Schlaf und verschiedene neue Anforderungen, selbst wenn einer der Eltern teilweise zu Hause ist. Hast du einen Tipp, was du diesen frischgebackenen Eltern raten würdest, damit sie gelassen mit der Situation umgehen können?
Katharina Rüd
Spontan würde ich sagen: Setzt klare Grenzen und sucht euch eine Arbeitsteilung, die funktioniert. Es müssen nicht beide nachts wach sein, wenn das Baby wach ist. Vielleicht kann sich für eine gewisse Zeit ein Elternteil einen Ort suchen, wo er nachts nicht geweckt wird, damit zumindest einer am Morgen ausgeschlafen ist. Dann kann das ausgeschlafene Elternteil vielleicht den Vormittag übernehmen oder zumindest helfen, das Kind morgens fertig zu machen, bevor es zur Arbeit geht. Das sind wichtige Aspekte von Grenzen setzen und Arbeitsteilung.
Mein Mann und ich hatten das große Glück, dass ich früh aufstehen kann, aber früh ins Bett muss, während er ein Nachtmensch ist. Wir hatten die Arbeitsteilung, dass er von 21 Uhr bis etwa 1 oder 2 Uhr morgens zuständig war und ich schlafen konnte. Dann hatte ich schon mein Grundpensum an Schlaf, und danach habe ich übernommen und bin morgens mit aufgestanden. Das hat uns nicht vor Schlafmangel bewahrt, aber es hat sichergestellt, dass wir beide zumindest ein gewisses Maß an Schlaf hatten.
Schlaf ist nur ein Beispiel. Eltern können auch darüber reden und gucken, gibt es Dinge, die einer besonders gerne macht oder gar nicht mag? Über diese Dinge zu sprechen und Erwartungen gleich im Keim zu ersticken, kann das Stresslevel senken. Wenn man sich denkt: „Warum macht er/sie das jetzt nicht? Ich habe schon fünf Windeln gewechselt.“ Wenn man weiß, okay, er/sie mag das einfach nicht gerne, aber dafür kümmert er/sie sich gerne um die Wäsche, dann sollte das auch so aufgeteilt werden.
Kommunikation ist der Schlüssel, und sich die Aufgaben gut aufzuteilen, damit beide Elternteile ein Restlevel an Energie haben und nutzen können. Vor allem ist es wichtig, jedem einzelnen Zeit einzuräumen, um durchzuatmen und Energie zu tanken. Das ist kein Luxus und nichts, wofür man sich schämen muss, das ist überlebensnotwendig.
Mehr Kommunikation gegen Krach in der Beziehung
Markus Pohle
Genau, in solchen Situationen ist es wichtig, als Team zusammenzuwachsen, sich abzusprechen und auch abzugrenzen. Was sind meine Stärken, meine Schwächen? Das klingt fast so, als hätte man eine Art Schichtdienst, wie ihr das mit der Nacht aufgeteilt habt.
Vielen Dank, das werde ich auf jeden Fall gerne weitergeben, wenn wieder so ein Fall in die Beratung kommt. Ansonsten muss ich sie einfach weiter zu dir schicken, jetzt, wo ich den Kontakt zu dir habe.
Katharina Rüd
Sehr gerne. Ja, gerade in Beziehungen, wo es häufiger kracht, habe ich oft mitbekommen, dass, zumindest in meinem Umfeld, der Vater dann der Vollzeit-Tätige ist, die Mutter in Teilzeit oder ganz daheim und da fehlt dann oft die Kommunikation. Er ist erschöpft von der Arbeit, was nach einem acht-Stunden-Tag oder mehr absolut nachvollziehbar ist. Sie ist aber ebenfalls erschöpft, weil sie das Baby hatte, oder gearbeitet hat und dann noch das Baby betreuen musste. Wenn dann das Miteinanderreden, die Kommunikation und Abstimmung ausbleiben, wird es schwierig.
Markus Pohle
Es klingt fast so, als müsste man wirklich für sich selbst Zeit planen, es institutionalisieren und sagen: „Wir haben jetzt mal hier eine feste Zeit am Abend, vielleicht am Esstisch, aber das muss ja nicht immer so sein.“ Wenn man sich wirklich einfach mal zuhört, fast wie mit einem virtuellen Redeball, den man sich zuspielt und der andere solange zuhört.
Katharina Rüd
Oder einfach mal einen gemeinsamen Spaziergang machen?
Markus Pohle
Ein Spaziergang, genau. Da kann man die Kinder wunderbar integrieren.
Katharina Rüd
Ja, mit Kinderwagen oder Laufrad oder was auch immer man dann so für Möglichkeiten hat, je nach Alter der Kinder. Und währenddessen haben wir Zeit zu reden.
Selbstkompetenz-Coaching dauert oft nur wenige Sitzungen
Markus Pohle
Ja, weil durch die Bewegung auch nochmal Stress abgebaut wird. Ein sehr guter Hinweis. Erzähl doch gerne nochmal, wie lange so ein Prozess mit dir dauert. Zum Beispiel in den Workshops oder in Klassen, wie lange arbeitest du mit den Teilnehmern?
Katharina Rüd
Die längste Zusammenarbeit, die ich jetzt hatte, war tatsächlich in einer Schule über drei Jahre. Das hätten wir auch gerne fortgesetzt, weil sich kontinuierlich etwas verändert hat und eine Entwicklung zu sehen war. In der Regel biete ich einzelne Workshops oder mache einzelne Sitzungen, etwa 3, 4, 5 Termine.
Es ist nicht wie bei einer Therapie, wo eine bestimmte Anzahl an Sitzungen vorgegeben ist, sondern es ist eher so, dass ich den Input gebe, wir üben, trainieren, und dann bekommen die Teilnehmer meistens ein Büchlein, das ich ein Reisetagebuch nenne. Sie machen sich auf die Reise in ihr eigenes Leben, um sich selbst zu entwickeln und zu entdecken. Dann sollen sie das Erarbeitete ausprobieren in ihrem Leben. Entweder kommt dann nochmal ein Anruf, um an der einen oder anderen Stelle nachzujustieren, oder es bleibt aus.
Mir ist es ehrlich gesagt am liebsten, wenn kein Anruf kommt, weil das in der Regel bedeutet, dass es läuft. Ich bin nicht diejenige, die etwas für die Kinder und Jugendlichen verändert; letztendlich müssen sie es selbst machen. Die, die es nicht ins Laufen kriegen oder nicht in die Umsetzung kriegen, da ist dann halt immer die Frage, warum. Und wenn sich dann die Mutter oder der Vater wieder bei mir melden muss, will das Kind oder der Teenager vielleicht auch einfach gerade nicht und hat mit anderen Dingen zu kämpfen.
Inklusionsschüler benötigen den Fokus auf Kooperation
Markus Pohle
Diese drei Jahre in der Schule, war das eine Klasse oder verschiedene?
Katharina Rüd
Das war eine Gruppe mit Kindern, die in der Inklusion sind. Ja, und die haben einen Praxistag mit mir gemacht, und da ging es wirklich um alltägliche Dinge. Also, wo kommt das Essen her? Dann sind wir mal wirklich rausgegangen, haben Äpfel vom Baum gepflückt, natürlich mit der Erlaubnis, weiterverarbeitet und am Ende gemeinsam gegessen. Also das sind Kinder mit Beeinträchtigungen, die andere Themen brauchen, als das klassische Wissen, das man in der Schule vermittelt bekommt.
Markus Pohle
Das stelle ich mir nochmal richtig schön vor, eben rauszugehen, mit dir dann zu schauen. Jetzt müsste vielleicht immer noch so ein bisschen die Pflaumenzeit sein, Äpfel kommt dann bestimmt nochmal an den Strauch zu gehen, zu schauen, wie schmeckt das eigentlich direkt vom Strauch? Dann muss man diese Arbeitsteilung haben, ein paar müssen waschen, ein paar andere entkernen. Und am Ende daraus gemeinsam etwas Schönes kochen.
Katharina Rüd
Ja, kooperativ zu sein ist ganz, ganz wichtig. Das ist das, was bei denen das Wichtigste ist, dass sie lernen, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten.
Markus Pohle
Das kann ich mir richtig gut vorstellen. Wie du sagst, ein paar rufen dann auch schon nach dem ersten Workshop vielleicht gar nicht mehr an und dann sagst du okay, dann war ich jetzt wirksam und die Leute sind wieder selbstverantwortlich.
Katharina Rüd
In der Regel sind das kurz andauernde Zusammenarbeiten und dann erreichen wir auch schnell das Ziel. Es gibt dann auch Klassen, da werde ich wieder nach einem Jahr geholt mit der Ansage, okay wir haben dann nochmal Bedarf. Das passiert auch, aber in der Regel leider nicht. Ich würde es mir anders wünschen.
Langfristige Begleitung bringt beste Ergebnisse
Markus Pohle
Ja, man sieht die Kinder gerne aufwachsen und sich entwickeln. Das macht ganz viel aus, diese Entwicklung wirklich begleiten zu dürfen und zu sehen. Wie sie gewisse Schritte machen.
Katharina Rüd
Ich hatte eine Schülerin in dieser Gruppe von drei Jahren, die motorisch sich sehr, sehr schwer getan hat. Und wir hatten das große Ziel, dass sie in der 7. Klasse mit zum Skifahren gehen kann. Unser Ziel war, dass sie einen Tag auf die Skier geht, um einfach nur dieses Gefühl einmal zu haben. Sie hat am Ende die komplette Woche, fünf Tage lang Ski gefahren. Und es war so schön, diese Entwicklung einfach zu sehen. Ja, das macht glücklich.
Markus Pohle
Was ist dann der erste Tipp, der erste Schritt, den jemand machen kann, um zu mehr Selbstkompetenz zu gelangen?
Katharina Rüd
Du sagst, das ist eben schon, wenn man jetzt ein Team zu Hause hat, eine Familie ist, dann ist es die Kommunikation miteinander sprechen. Was sind die Bedürfnisse der verschiedenen Familienmitglieder.
Markus Pohle
Was war es vielleicht für die Frau, die eigentlich sich nur erst mal auf Skier stellen sollte, die am Ende doch plötzlich entdeckt hat, dass es ihr total Spaß macht, fünf Tage lang unterwegs zu sein? Was war es für sie so ein erster Schritt?
Katharina Rüd
Für die war das der erste Schritt des Vertrauens in sich zu gewinnen, dass sie das überhaupt kann. Dieser Vertrauensaufbau hat auch echt gedauert. Der allererste Schritt, würde ich sagen, ist bei fast allen echt dieses mit sich selbst klarkommen. Was geht denn da in mir vor? Was ist denn das gerade, was mir ein Unwohlsein macht? Was mich zweifeln lässt? Ja, mich vielleicht wütend oder traurig macht. Ist das wirklich diese Situation gerade oder ist es einfach eine Unsicherheit, die mir von außen reingegeben wird?
Also dieser ganze Reiz, dieser Druck, der von außen kommt, der hat ja gar nicht unbedingt immer was mit uns zu tun, aber er macht was mit uns. Und diese Reaktion einsortieren zu können, weil vielleicht reicht es, diesen Reiz von außen abzustellen, dieses Gefühl loszuwerden und dann wieder für uns eine Klarheit oder eine Sicherheit zu gewinnen, wie wir auftreten. Was will mir mein Bauchgefühl gerade sagen, warum ist es unwohl? Warum bin ich jetzt wütend? Warum habe ich Angst? Das ist echt das A und O. Das ist die Grundlage für alles.
Ich entwickelte ein paar Sätze bei dem Mädchen mit den Skiern um nachzuschauen, was sind diese verschiedenen Stimmen, die Erwartungen, die ja nicht herangetragen werden, Klarheit zu gewinnen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin ein Knackpunkt
Markus Pohle
Gab es da jetzt noch etwas, was ich dich noch nicht gefragt habe, worüber du noch mal sprechen möchtest? Einen gewissen Aspekt, den du noch mal beleuchtet haben möchtest, dann hau jetzt gerne raus.
Katharina Rüd
Was mich gerade enorm beschäftigt, ist dieses Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weil die Anforderungen an und in einer Familie sind enorm, die Herausforderungen groß und es gibt viele Unternehmen, die darauf eingehen. Es gibt aber auch Unternehmen, die sagen, das ist mir doch egal, Familie ist Familie, Unternehmen ist Unternehmen. Wie kann man das besser zusammenbringen? Wie kann man den Bedarf der Bedürfnisse von Eltern besser greifen und aufs Arbeitsleben übertragen? Was können Eltern dazu beitragen und was können Unternehmen dazu beitragen?
Das ist gerade ein ganz, ganz großes Thema, was ich hier entwickle und wo ich gerne Unternehmen auch dazu auffordern würde, schaut mal genauer hin, warum performt vielleicht Mitarbeiter XY nicht so, wie ihr das euch wünscht. Was könnt ihr vielleicht beitragen, das Leben für ihn an der einen oder anderen Stelle leichter zu machen, um mehr Gelassenheit auch in diesen Arbeitsalltag zu bringen, mehr Gelassenheit in den Familienalltag, weil auch das sind Dinge, die sich gegenseitig irgendwie bedingen und beeinflussen. Und da würde ich mir wünschen, dass da was passiert und sich entwickelt, sowohl auf der Elternseite als auch auf Unternehmerseite.
Markus Pohle
Wenn jetzt ein verantwortungsvoller Unternehmer oder eine Unternehmerin zuhört, die total zustimmt, wo kann er oder sie denn da anfangen? Hast du vielleicht einen bestimmten Blogbeitrag oder eine Podcastfolge, die sie als Einstieg nutzen können? Kannst du da was empfehlen?
Katharina Rüd
Wir drehen gerade nächste Woche eine Podcastfolge dazu. Deswegen stecke ich gerade voll in der Recherche und in der Vorbereitung. Also ab Ende September sollte die hoffentlich dann veröffentlicht sein. Oder gerne auch einfach mal anrufen. Wenn ein interessierter Unternehmer da ist, gerne mal bei mir melden.
Selbstkompetenz-Coaching: Kennenlerntermin ist zeitnah möglich
Markus Pohle
Der Anruf ist der unkomplizierteste Weg?
Katharina Rüd
Ja, Anruf ist immer gut. Wenn man nicht direkt durchkommt, ich rufe in der Regel zeitnah zurück. E-Mail funktioniert wunderbar. Da reagiere ich in der Regel relativ schnell drauf.
Markus Pohle
Um es jetzt auch richtig zu verstehen: Es geht nicht um Therapie. Das heißt, es ist für Selbstzahler. Wie viel Wartezeit sollte ein Elternteil mitbringen? Also wie schnell kannst du ein neues Kind in dein Angebot integrieren?
Katharina Rüd
Das kommt ein bisschen drauf an. Der Kennenlerntermin ist zeitnah immer möglich. Wenn es eine Zusammenarbeit ist, die intensiver sein sollte, da sollte man schon vier bis acht Wochen Wartezeit einplanen. Also das ist glaube ich der große Vorteil immer am Coaching, nicht nur bei mir, gegenüber von Psychologen, dass da schneller, glaube ich, mal was möglich ist, als wenn man einen wirklichen Therapieplatz sucht.
Markus Pohle
Ich habe heute jede Menge von dir lernen dürfen. Wir haben darüber gesprochen, was Selbstkompetenz genau bedeutet. Aus welchen Bestandteilen das eigentlich besteht? Wie man sie bei sich selbst stärken kann? Wie verbessert sich die Beziehungsqualität? Zum Beispiel im Klassenverband, zum Beispiel Eltern-Eltern oder auch Kind-Eltern-Beziehungen, dadurch, dass man Selbstkompetenz entwickelt, dass man mehr abgrenzt, dass man auf seine Bedürfnisse schaut. Wir haben viel darüber gesprochen, wie das nicht nur im Schulverband, sondern auch noch auf der Teamebene, im Arbeitsleben, zusammenhängt. Und noch vieles mehr.
Ich würde gerne damit schließen, dir nochmal wirklich herzlich zu danken. Vielen Dank, dass du da warst. Und so breit will ich dein Wissen mit uns geteilt hast. Und gebe dir gerne jetzt das letzte Wort.
Katharina Rüd
Vielen lieben Dank, dass ich hier sein durfte. Du hast es gerade wunderbar zusammengefasst. Vielen Dank für die Chance, das Wissen zu teilen und mich hier zu präsentieren. Es hat mir total viel Spaß gemacht. Und ich könnte jetzt auch eigentlich noch weiter plaudern.
Markus Pohle
Also Leute, die noch mehr von dir wissen möchten, die gehen jetzt auf deine Website oder hören mal in deinen Podcast rein. Wir sind ganz gespannt auf Ende September, wenn hoffentlich die neue Folge zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie kommt.
„NatürlichStark“ mit Katharina Rüd
Podcast „MaPas! Mut zur Lücke“
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